Krim-Krise : Über Wahrheit und Lüge im russischen Sinne
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Prorussische Aktivisten verprügeln einen Demonstranten in Sewastopol. Bild: AFP
Im Informationskrieg um die Krim werden von russischen Medien Halbwahrheiten und Lügen verbreitet. Ukrainische Sender werden abgeschaltet, Reporter verprügelt. Inoffizielle Kanäle verbreiten Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken und auf Twitter.
Um sich ein Bild von der Berichterstattung russischer Fernsehsender über die Ereignisse auf dem Euromajdan in Kiew zu machen, genügt es, mit einem Dutzend Russen in Simferopol oder Sewastopol, den größten Städten der Autonomen Republik Krim, zu sprechen. In jedem der Gespräche – auf der Straße, im Geschäft oder im Taxi – kann man mindestens drei Mal die Worte „Faschisten“ und „Banditen“ hören. Viele Leute auf der Halbinsel sind aufgrund der russischen Fernsehberichte fest davon überzeugt, dass in Kiew nun eine Bande von Faschisten die Macht übernommen habe.
Diese Faschisten waren es nach russischer Lesart auch, die beim großen Gewaltausbruch in der Hauptstadt vor drei Wochen aus dem Hinterhalt geschossen haben. Angehörige der Sondereinheit Berkut waren hilflose Opfer in den Händen von Extremisten. Von dieser Version der Ereignisse haben russische Medien viele Menschen auf der Krim völlig eingenommen, obwohl eine unabhängige Untersuchung des Blutbads noch aussteht.
Angst vor Verbrecherbanden geschürt
Russische Staatssender verbreiteten auch die Kunde, dass der russischsprachigen Bevölkerung nunmehr schwere Strafen drohten, wenn sie in ihrer Muttersprache kommuniziere. Auslöser war das inzwischen vom Parlament in Kiew wieder zurückgezogene Gesetz, das der russischen Sprache ihren besonderen Status aberkennen sollte. Strafen waren darin freilich nie vorgesehen, zumal die russische Sprache auf der Krim ohnehin einen in der Verfassung der Autonomen Republik festgeschriebenen besonderen Status genießt.
Eine weitere wesentliche Botschaft des russischen Fernsehens ist die drohende Ankunft faschistischer Banden auf der Krim. So wurde die Angst vieler Menschen vor marodierenden Verbrechergruppen geschürt. Die russischen Soldaten, die auf der Halbinsel aufgezogen sind, werden entsprechend als Beschützer und Befreier empfunden, keineswegs als unrechtmäßige Besatzer.
Zutiefst von ihrer Sichtweise überzeugt, haben viele Russen auf der Krim in den vergangenen Tagen begonnen, ausländische Reporter der Lüge zu bezichtigen oder sie zumindest sehr kritisch nach ihren Absichten zu befragen. Es ist schwerer geworden, mit Mitgliedern der sogenannten Selbstverteidigungsmilizen ins Gespräch zu kommen. Das Misstrauen gegenüber den vermeintlich feindlich gesinnten ausländischen Reportern sitzt tief.
Falschmeldungen auf Twitter
In den Informationskrieg um die Krim mischen sich auch diverse inoffizielle Kanäle beider Seiten in den sozialen Netzwerken und auf dem Nachrichtendienst Twitter, die Gerüchte und Falschmeldungen verbreiten. So war bereits vorvergangene Woche von der Besetzung eines tatarischen Fernsehsenders in Simferopol berichtet worden, die sich als nicht zutreffend herausstellte.
Um die prorussische Stimmungslage zu verfestigen, sind die örtlichen Machthaber auf der Krim nun offenbar dazu übergegangen, andere Informationsquellen als die russischen Fernsehsender abzuschalten. Die beiden ukrainischen Sender „Kanal 5“ und „1+1“ meldeten bereits vor dem Wochenende, dass ihre Sendefrequenzen auf der Halbinsel abgeschaltet wurden. Der Chef des Fernsehsenders „1+1“ teilte mit, dass der russische Staatssender „Perwyj Kanal“ nun auf der ehemaligen Frequenz seines Senders zu empfangen sei. Am Montag meldete die ukrainische Nachrichtenagentur Interfax, dass auch andere ukrainische Sender vom Netz genommen wurden, auf ihren Frequenzen sollen nun ebenfalls russische Nachrichten und Unterhaltungssender zu sehen sein.
Tätliche Angriffe auf Journalisten
In den vergangenen Tagen häuften sich auch tätliche Angriffe gegen ukrainische und ausländische Journalisten auf der Krim. Reporter des ukrainischen Senders „Kanal 5“ waren nach eigenen Angaben am späten Freitagabend von prorussischen Aktivisten geschlagen worden, als sie eine Auseinandersetzung an einer ukrainischen Militärbasis in Sewastopol filmen wollten. Nach Angaben des „Kanal 5“ sollen auch Journalisten des Krim-Senders „Inter TV“ und des Senders „STV“ dort verprügelt worden sein. Attacken richteten sich zunehmend auch gegen internationale Fernsehteams, die von der Halbinsel berichten. Reporter des BBC teilten am Sonntag über den Nachrichtendienst Twitter mit, dass sie nur mit Mühe vor einem Angriff eines russischen Mobs bei einer Demonstration für die Ukraine in der Stadt Sewastopol, dem Standort der russischen Schwarzmeerflotte, in Sicherheit bringen konnten. „Wir waren nur Sekunden davon entfernt, verprügelt zu werden. Ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr so schnell gerannt“, twitterte Reporter Ben Brown.
Zuvor waren nach Berichten des amerikanischen Sender CNN bereits ein bulgarischer Journalist und sein Assistent angegriffen worden, als sie versuchten, in der Hauptstadt Simferopol maskierte bewaffnete Männer zu filmen. Diese seien daraufhin auf den Bulgaren zugerannt, hätten ihm eine Waffe an seinen Kopf gehalten und die Ausrüstung des Teams gestohlen.
Die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Dunja Mijatovic, die in der vergangenen Woche die Krim besuchte, verurteilte die Angriffe auf Journalisten scharf. „Die extreme Zensur, die Schließung von Medien und die Angriffe und Einschüchterungen gegen Journalisten müssen unverzüglich aufhören“, forderte Mijatovic, deren Pressekonferenz im vor allem von Journalisten bewohnten Hotel „Ukraina“ von Simferopol von einer wütenden prorussischen Demonstrantengruppe begleitet wurde, die unter anderem „Freiheit für die Presse“ forderte.