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Risiken auf dem Radar haben

Maila Health, eine Ausgründung der Freien Universität Berlin, entwickelt einen digitalen Gesundheitshelfer für Schwangere und Mütter nach der Geburt

13.12.2021

Mit der App von Samantha Lattof (links) und Philip Meier (rechts) können Schwangere unter anderem ihr persönliches Risiko für bestimmte Komplikationen der Schwangerschaft berechnen.

Mit der App von Samantha Lattof (links) und Philip Meier (rechts) können Schwangere unter anderem ihr persönliches Risiko für bestimmte Komplikationen der Schwangerschaft berechnen.
Bildquelle: © 2021 Simona Liska

„Hatten Sie schon mal eine Lebensmittelvergiftung?“ Mit dieser Frage beginnt Samantha Lattof häufig, wenn sie ihr Gründungsprojekt Maila Health vorstellt. Während ihrer ersten Schwangerschaft fühlte sich die in Berlin lebende US-Amerikanerin täglich so, als wolle ihr Körper verdorbene Nahrungsmittel loswerden. Sie litt an Hyperemesis gravidarum. Etwa eine von 100 Frauen erlebt diese besonders starke Form der Schwangerschaftsübelkeit mit häufigem und heftigem Erbrechen. Die Erkrankung führt zu Gewichts- und Flüssigkeitsverlust bei der Mutter, der auch das Baby gefährden kann. Meist müssen die Patientinnen im Krankenhaus intravenös mit Flüssigkeit, Vitaminen und Elektrolyten versorgt werden.

„Die korrekte Diagnose und Behandlung erhielt ich aber erst im letzten Drittel meiner Schwangerschaft“, berichtet Samantha Lattof, „zu spät für eine effektive Therapie.“ Sie habe 18 Monate gebraucht, um sich zu erholen. Das hätte verhindert werden können, wenn die Erkrankung frühzeitig diagnostiziert und behandelt worden wäre.

Späte Diagnose, kaum Zeit für Aufklärung: Erfahrungen aus ihrer eigener Schwangerschaft waren für Sam Lattof der Antrieb zur Gründung.

Späte Diagnose, kaum Zeit für Aufklärung: Erfahrungen aus ihrer eigener Schwangerschaft waren für Sam Lattof der Antrieb zur Gründung.
Bildquelle: © 2021 Simona Liska

Die promovierte Gesundheitswissenschaftlerin forscht seit 12 Jahren zur ärztlichen Versorgung von Schwangeren und Müttern. Mit Blick auf ihre eigene Erfahrung in Deutschland hat sie mehrere Probleme identifiziert: Informationen standen meist nur auf Deutsch zu Verfügung, in Gesprächen mit ihrer Ärztin konnte sie sich aufgrund der Sprachbarriere nicht ausreichend verständlich machen. Zum Teil waren ihre Gesprächspartner nicht auf dem neuesten Stand der Forschung und haben die Symptome ihrer Patientin falsch diagnostiziert. Außerdem seien Arztinnen, Ärzte und Hebammen so überlastet gewesen, dass sie kaum Zeit für Aufklärung und längere Patientengespräche hatten.

Sie sei kein Einzelfall, sagt die Amerikanerin. Viele Bekannte hätten ihr von ähnlichen Erfahrungen berichtet. In einer Welt, in der mehr Informationen denn je digital zur Verfügung stehen, seien das „unnötige Erfahrungen“, befindet Samantha Lattof.

Die eigene Schwangerschaft umfassend managen

Die Wissenschaftlerin beschloss, gemeinsam mit dem Software-Ingenieur Philip Meier eine intelligente, evidenzbasierte Plattform für die personalisierte Schwangerschafts-Vor- und Nachsorge zu gründen. Mit der dazugehörigen App können die Nutzerinnen Tagebuch führen, Daten eingeben oder über Tracking-Geräte einspeisen lassen, Gesundheitsinformationen abrufen, kurz: ihre Schwangerschaft umfassend managen, um informiert und selbstbewusst in den Austausch mit medizinischen Fachkräften zu treten.

Seit September 2021 wird Maila Health – der Vorname Maila hat mehrere Bedeutungen, darunter: Wunschkind, Stärke im Kampf und Hoffnung – an der Freien Universität Berlin mit einem EXIST-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert.

Risiken für Komplikationen berechnen

Die Plattform basiert auf Studienergebnissen, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt systematisch zusammengetragen wurden und den aktuellen Stand der Forschung abbilden. „70 Prozent aller Schwangeren leiden mindestens unter einer Komplikation, etwa unter etwa Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck oder Hyperemesis gravidarum. Das wirkt sich auch auf die Gesundheit der Kinder aus und verursacht Behandlungskosten“, betont Samantha Lattof. Nach der Geburt haben 94 Prozent der Mütter wenigstens eine Komplikation.

Philip Meier ist zuversichtlich, dass Maila Health das Prüfverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen bestehen wird.

Philip Meier ist zuversichtlich, dass Maila Health das Prüfverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen bestehen wird.
Bildquelle: © 2021 Simona Liska

Mit der App von Maila Health können Schwangere ihr persönliches Risiko für bestimmte Komplikationen berechnen. Auf Grundlage ihrer Daten, etwa auf Basis ihrer Blutdruckmesswerte, erhalten die Schwangeren personalisierte Informationen über potenzielle Komplikationen wie zum Beispiel Bluthochdruck.

Aber nicht nur die Inhalte, sondern auch die Form der Darstellung ist individuell auf sie zugeschnitten, etwa in Bezug auf Muttersprache, Alter, Wohnort und Bildungsabschluss, um sicherzugehen, dass die Informationen verstanden werden. Um Form und Inhalt zu personalisieren, arbeitet die Software im Hintergrund mit maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz.

App auf Rezept

Wie viele Daten die Nutzerinnen teilen wollen, entscheiden sie selbst, sagt Samantha Lattof. „Wir garantieren einen hohen Standard für Datenschutz und Datensicherheit, da wir uns nicht, wie viele beliebte Lifestyle-Apps für Schwangere, durch den Verkauf von Nutzerdaten finanzieren.“

Stattdessen soll Maila Health eine „App auf Rezept“ werden, die vom Arzt verschrieben oder direkt von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt wird. Um das zu erreichen, muss das Team ein umfangreiches Prüfverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (Di-GA) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte durchlaufen. Dabei müssen Anbieter unter anderem anhand von Studien nachweisen, dass ihre digitalen Produkte einen positiven Effekt auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten haben, also mehr bewirken oder bei gleicher Wirkung preisgünstiger sind als bestehende Versorgungsleistungen.

„Ich bin zuversichtlich, dass wir das Verfahren bestehen werden“, sagt Philip Meier. Wenn alles nach Plan läuft, könnte es 2023 so weit sein. Doch schon vorher sollen Schwangere die App nutzen können: Ab Mitte kommenden Jahres werden einige Inhalte kostenfrei zur Verfügung stehen, während andere Funktionen im Abo-Modell hinzugebucht werden können. Neben dem Eintritt in den deutschen Markt will das Team die App künftig auch in den USA und in anderen europäischen Ländern anbieten.

Dankbar für den entscheidenden Tipp

Gründen bedeute eben, an sehr vielen Aufgaben parallel zu arbeiten, sagt Samantha Lattof. Derzeit konzentriere sich das Team, ergänzt durch die Informatikerin Catarina Pires und die UI-UX-Designerin Stephanie Bell, zwar auf die Entwicklung des „MVP“, des „Minimal Viable Product“, also des kleinstmöglichen funktionsfähigen Produkts. „Parallel müssen wir uns aber schon nach einer Finanzierung für die Zeit nach dem EXIST-Stipendium umsehen.“

In dieser stressigen Phase ist die Gründerin besonders dankbar für die gute Unterstützung, die ihr Team in der Startup-Villa der Freien Universität Berlin und von den beiden wissenschaftlichen Mentoren, dem Wirtschaftsinformatik-Professor Martin Gersch, und dem Bioinformatik-Professor Tim Conrad, erhält. Denn sogar kleine Tipps aus der Community könnten ein Start-up-Leben retten: „Andere Gründer haben uns erzählt, dass man sich bei Prüfgesellschaften wie dem TÜV Süd ein Jahr vorher anmelden muss, um einen Termin zu bekommen. Für diesen Hinweis werden wir ewig dankbar sein.“

Weitere Informationen

Die Freie Universität Berlin fördert Unternehmensausgründungen mit der Service-Einrichtung Profund Innovation in der Abteilung Forschung. Profund Innovation unterstützt Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Alumni dabei, Anwendungsideen für ihre Forschung zu entwickeln, Start-ups oder Spin-Offs zu gründen sowie Forschungsergebnisse gemeinsam mit etablierten Unternehmen zu verwerten. Das EXIST-Gründerstipendium ist ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums und wird durch den Europäischen Sozialfonds kofinanziert.

Webseite des Start-ups: